Manfred-Rommel-Preis des DTF

Die Kultur ist nicht das einzige, aber ein Mittel, um einer wachsenden Zahl von Menschen dazu zu verhelfen, einen Lebensinhalt zu finden. (Manfred Rommel)


Verleihung des Manfred-Rommel-Preises des Deutsch-Türkischen Forums Stuttgart am 15 Oktober 2010 an Ahmet Baydur

Beim Festakt in der BW-Bank wurden drei Preisträger geehrt: Herr Prof. Dr. Dr. h.c. Muharrem Satır bekam den Ehrenpreis, die Popgruppe Limanja und Ahmet Baydur wurden je mit einem dotierten Preis bedacht. Die bekannte Journalistin Susanne Offenbach moderierte souverän die Veranstaltung.

Die Politik war zahlreich vertreten: Der Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Wolfgang Schuster und der türkische Generalkonsul Mustafa Türker Arı hielten eine Rede, bei den Gästen waren Konsul Erkan Öner, der Bundesvorsitzende der Grünen Cem Özdemir, der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Stefan Kaufmann, die Grünen-Fraktionsvorsitzende Muhterem Aras und die SPD-Stadträtin Dr. Maria Hackl.

Der DTF-Kuratoriumsvorsitzende Dr. Mehmet Varlık überreichte die Urkunden, die Laudatio für Ahmet Baydur hielt der stell-vertretende SWR-Landessenderdirektor Hans-Peter Archner für den erkrankten Intendanten des SWR, Peter Boudgoust. Der Orchestermanager Felix Fischer vertrat zunächst allein das Orchester, die erste Konzertmeisterin Natalie Chee und der Solocellist Ansgar Schneider überbrachten die Glückwünsche des RSO erst später, da das Orchester zur gleichen Zeit ein Konzert spielte.

Nähere Informationen zur Feier: Blog des Deutsch-Türkischen Forums


Rede von Ahmet Baydur anlässlich der Verleihung des Manfred-Rommel-Preises des Deutsch-Türkischen Forums am 15.Oktober 2010

Ein herzliches „Guten Abend“ und candan bir Merhaba!

In meinem Berufsleben habe ich sehr oft auf der Bühne gestanden, war immer umgeben von Kolleginnen und Kollegen, und wir haben zusammen gute Musik gemacht. Heute stehe ich vor Ihnen allein am Pult. Den Manfred Rommel-Preis nehme ich stellvertretend für meine Mitstreiter vom Radio-Sinfonie-Orchester Stuttgart in Empfang, die soeben ein Konzert spielen. Ohne die Unterstützung meines Orchesters und des dazu gehörenden Management-Teams hätte unsere Stiftung allein nicht in so kurzer Zeit einige der gesteckten Ziele erreichen können.

Herr Archner, Ihnen danke ich ganz herzlich für Ihre wohltuenden Worte, auch dafür, dass Sie so kurzfristig für den erkrankten Intendanten Herrn Boudgoust eingesprungen sind und sich die Zeit genommen haben, unser Wirken näher kennen zu lernen. Sie sehen, dass wir Musiker des RSO Stuttgart neben unseren Pflichten auch mit freiwilligem Engagement Einiges bewegen können, wenn die Leitung des Hauses SWR den Rahmen stellt. Ich habe mich in dieser Gemeinschaft in all den Jahren sehr wohl gefühlt und bleibe dem Orchester eng verbunden.

Meine Damen und Herren von der Jury, für Ihre mutige Entscheidung, den Manfred-Rommel-Preis einer so jungen Stiftung und deren Bemühungen zuzusprechen, danke ich Ihnen. Mit diesem Schritt haben sie einen großen Vertrauensvorschuss geleistet, und uns auf ein Podium gestellt, wo die Öffentlichkeit unser zukünftiges Engagement besser beobachten und beurteilen wird. Diese Herausforderung nehmen wir an. Der Preis ist zugleich ein Schlüssel, mit dem sich manche Tür leichter öffnen lässt, er wird uns eine wertvolle Hilfe sein.

Liebe Türkisch sprechende Gäste, haben Sie bitte Verständnis, dass ich meine Rede nur in deutscher Sprache halte. Ich habe in der deutschen Sprache eine zweite Heimat gefunden. Diese Sprache ist der gemeinsame Nenner, der alle hier lebenden Menschen verbindet, der uns miteinander austauschen und voneinander lernen lässt.

Meine Damen und Herren, warum eine Stiftung „Zukunfts-Musik“ in dieser Zeit? Und warum wollen wir Kinder vorwiegend aus bildungsfernen Familien allgemein und die Integration von Migrantenkindern speziell fördern?

Wir wollen Kindern den Zugang zur Kultur schmackhaft und leichter machen, ihnen Musik vermitteln. Es ist heute wissenschaftlich erforscht, dass Musik die Entwicklung der Hirnareale für Sprachvermögen, Feinmotorik, Kombinationsfähigkeit, Intelligenz, Konzentration und Gedächtnis enorm fördert.

Wenn wir erst in der Grundschule Kinder mit Musik vertraut machen, ist dies reichlich verspätet. In der Schulzeit werden Musik und ihre Schwester Kunst für kreatives Schaffen, die einzigen Nischen ohne Leistungsdruck, mit wenigen Stunden spärlich abgehakt. Deutsche und Migrantenkinder kennen kaum mehr eigene Volkslieder. Die Kinder setzen sich einer ständigen Reizüberflutung aus, sie schädigen mit modischer Lautstärke ihre Ohren mit Musik, die ihnen nicht guttut. Gute Musik dagegen ist nicht nur klassische Musik, Popmusik und Volkslieder können ebenso wertvoll sein, wenn sie einen berühren. Gute Musik gleich welcher Herkunft trennt nicht, sie verbindet.

In Deutschland gibt es eine großartige Musiktradition, wir müssen diese nicht nur pflegen, wir müssen sie in die nächste und übernächste Generation weitergeben und dazu die erforderlichen Brücken schlagen. Nur dann haben wir, die Privilegierten, unserer kulturellen Pflicht entsprochen. In älteren Kulturen war Musik eine unverzichtbare Säule der Bildung. Geben wir also der Musik den Stellenwert und die Bedeutung von früher wieder zurück!

Wir Musiker haben erst spät erkannt, dass es nicht ausreicht, auf unseren Bühnen gut zu spielen und damit ein immer älter werdendes, treues und gehobenes Publikum zu erfreuen. Jetzt ist allerhöchste Zeit, zu den Jüngsten zu gehen, sie vor Ort mit unserer Musik neugierig und vertraut zu machen, sie an die Hand zu nehmen, dann in einem Konzert zu begeistern und sie vielleicht auch für einen Moment glücklich zu machen. Dann ist gute Hoffnung, dass sie ein andermal den Weg zur Musikkultur alleine finden.

Bei unserer Betreuung im Rahmen des Ohrenaufprojektes versuchen wir, den Kindern erst die Scheu vor dem Unbekannten zu nehmen und ihnen auf Augenhöhe (sprich auf Knieen) die Instrumente vorzustellen. Die Kinder spüren diese Beachtung, vor allem sind sie stolz, dass sie viele von uns jetzt persönlich kennen, und sind beeindruckt, dass so viele verschiedene Nationalitäten im Orchester zusammen spielen – gelebte und klingende Integration. Wenn sie das Orchester besuchen, fühlen sie die Akzeptanz und mit ihrer Freude und ihrem Interesse belohnen sie unseren Einsatz.

Die Stiftung und das Orchester haben im Juni 2010 Kinder und Eltern zu einem Kinderkonzert eingeladen und wir waren von dem großen Anklang sehr überrascht. Leider fanden nicht so viele Migranteneltern den Weg zu uns, wie wir gehofft hatten. Damit auch Kinder ohne ihre Eltern teilnehmen konnten, haben mehrere Erzieherinnen ihre Schützlinge begleitet – und das sogar an einem Wochenende!

Bisher lag der Schwerpunkt unserer Stiftungsarbeit in der Kooperation mit dem RSO, das wird auch weiterhin so bleiben. Damit können wir allerdings nur eine begrenzte Zahl von Kindern erreichen. Unser Ziel ist, an möglichst vielen Kitas Projekte einzuführen, bei denen die Kinder zusammen Musik machen und so deutsche und Migrantenkinder zueinanderfinden. Wir streben eine Zusammenarbeit mit der Musikhochschule Stuttgart an, deren Studenten zum Beispiel Kinder beim Musizieren mit Orff-Instrumenten anleiten könnten.

Unsere Arbeit mit den Kindern erscheint Manchen vielleicht nicht publikumswirksam. Sie darf nicht Marketingsstrategien zum Opfer fallen, uns geht es in erster Linie um Inhalte, das heißt mehr Sein als Schein. Hier bitte ich den Intendanten des SWR, Herrn Boudgoust unsere gemeinsamen Projekte weiterhin zu unterstützen, und setze auch auf Ihre Hilfe, Herr Archner!

Unser Angebot an Kinder des Ağabey-Abla-Projektes vom Deutsch-Türkischen Forum und deren Eltern, das Orchester und seine Musiker bei einer Probe kennenzulernen, wurde trotz intensiver Bemühungen der Projektleitung nur zögerlich angenommen. Hier liegen sicher Berührungsängste vor; diese aufzulösen wird die nächste Aufgabe sein. Musik verletzt doch keinen Glauben, sie schwächt keine kulturellen und nationalen Wurzeln, eher hilft sie, neue zu bilden. Das Angebot steht weiterhin!

Meine Damen und Herren, für mich möchte ich, dass die künftigen Generationen dieselben Chancen erhalten, die sich mir in diesem Land geboten haben. Dafür stelle ich gerne einen Teil unseres Familienvermögens und meine Freizeit zur Verfügung; dass wir unseren Zielen näherkommen, macht mich glücklich.

Ich wünsche uns eine zukünftige Gesellschaft, in der die Ziele unserer Stiftung so selbstverständlich verwirklicht sind, dass die Baydur-Stiftung Zukunfts-Musik eigentlich überflüssig wird. Das ist mein Zukunftstraum, den ich als eine Brücke in die nächste Generation hinterlassen möchte.

Meine Worte schließe ich mit einem Vierzeiler des visionären türkischen Dichters Nazim Hikmet :

Yaşamak, bir ağaç gibi tek ve hür, ve bir orman gibi kardeşcesine, bu bizim hasrettimiz.

Leben einzeln und frei wie ein Baum, und brüderlich wie ein Wald, das ist unsere Sehnsucht.

Ich danke Ihnen, dass Sie mir zugehört haben.

Ahmet Baydur